So langsam fangen wir ja an mit Reisen, diesmal nun also China. Auslöser für die Reise war die Cloud Conference von Alibaba, hinzu kamen ein paar andere geschäftliche Treffen und so haben wir eine Reise drumherum gestrickt. Je mehr ich nachgelesen habe, desto mehr Ziele kamen auf unsere Reiseliste und am Ende haben wir uns dann entschieden für vier Wochen durch einen kleinen Teil dieses Landes zu reisen. Als Kostprobe, sozusagen.
Vor vielen Jahren habe ich mal auf einer Konferenz jemanden getroffen, der gerade aus China zurückkam. Ich fragte ihn, wie das denn dort sei und er antwortete: China ist ganz anders als wir uns das hier vorstellen.
Wieder zu Hause habe ich allen, die gefragt haben, eine sehr ähnliche Antwort gegeben. China ist ganz anders, als es uns hier oft beschrieben und dargestellt wird. Natürlich habe ich nur einen klitzekleinen Ausschnitt des Landes gesehen, habe, ob der Sprachbarrieren, nur mit einer Handvoll Einheimischer reden können, aber diese Reise hat mein Bild von China doch sehr verändert.
Was mich am meisten überrascht hat: es ist fast alles neu, sehr modern, sehr gut organisiert, irgendwie funktioniert alles mit sehr viel Harmonie.
Überall, selbst in den Bergen, hat man 4G Internet, niemals steht man länger (und schon gar nicht allein) an einer Bushaltestelle, die Busse (elektrisch!) fahren oft abhängig vom Bedarf auch zusätzlich zum Fahrplan. Die Bahnhöfe sind wie Flughäfen organisiert, die sehr komfortablen Züge fahren auf die Sekunde pünktlich los und kommen ebenso pünktlich an, selbst wenn man 1400 km unterwegs ist.
Die Menschen sind freundlich und hilfsbereit, allerdings nicht besonders rücksichtsvoll wenn es darum geht einen guten Platz auf der Aussichtsplattform zu bekommen. Da gibt es ein Schieben und Drängeln und wenn man da als höflicher Europäer nachgibt, kommt man niemals nach vorn. Aber ein solches Verhalten ist wahrscheinlich normal, wenn man bedenkt wieviele Menschen dort leben.
Wir kamen mitten in den Vorbereitungen zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China in Peking an. Unser Hotel war in der Nähe der Verbotenen Stadt. Viele Straßen waren schon abgesperrt für die Feierlichkeiten und man mußte Sicherheitskontrollen passieren, um zum Tiananmen Platz zu kommen. Es wurde uns gar empfohlen, das Hotel eine Nacht eher zu verlassen und etwas außerhalb des Zentrums zu buchen, weil die Straße davor für die Übungen der Parade gesperrt war. Aber hey, alles war super freundlich und die Menschen schienen völlig aus dem Häuschen und stolz auf ihr Land zu sein. Die haben aber auch eine eindrucksvolle Entwicklung in den letzten 30 Jahren hingelegt!
Ich habe, ehrlich gesagt, viel mehr Propaganda Poster erwartet. Den in westlichen Medien beschriebene Personenkult um den Staatspräsidenten Xi Jinping habe ich nicht wahrgenommen, ich hab nirgendwo Bilder von ihm gesehen. Möglicherweise hängen die in Regierungs- und Parteigebäuden, aber eben nicht an jeder Ecke. Das kenne ich aus der DDR noch ganz anders.
Und überhaupt, ich hab Schwierigkeiten diesem Land den Stempel des Kommunismus aufzudrücken. Was ich gesehen habe ist eher ein zentral gelenkter Kapitalismus mit sehr sozialer Ausprägung. Die Chinesen selbst bezeichnen ihr Staatssystem als demokratischen Zentralismus. Das Grundanliegen, welches immer wieder betont wird, ist, dass es allen Menschen des Landes besser gehen soll. Es lohnt sich für ein besseres Verständnis, die Verfassung der Volksrepublik China zu lesen.
Die Menschen reden auch davon, dass sie nur gemeinsam ihr Land aufbauen können, dass es gut für alle sein soll, dass die, die viel Geld verdienen, etwas an die Gesellschaft zurückgeben müssen. Das westliche Gesellschaftssystem scheint vielen nicht geeignet bzw. nicht erstrebenswert zu sein.
Ich fragte nach dem Social Point System und hörte durchweg positive Zustimmung. Schließlich müssen die Menschen aufeinander achten und sich gut zueinander verhalten. Jemand sagt mir, dass es die Übertragung des Criminal Records (ähnlich einem polizeilichen Führungszeugnis) in ein Punktesystem ist.
Ich fragte auch danach, wie es sich anfühlt, dass überall Kameras sind, die jeden deiner Schritte aufzeichnen. Die verblüffende Antwort war: in China gab es noch nie Privatsphäre. Und die Kameras helfen, Missstände und Vergehen aufzuzeigen bzw. vorzubeugen.
Momentan scheinen die Menschen dort kein Problem mit der digitalen Erfassung zu haben, weil sie wohl mehrheitlich nicht gegen sie, sondern für ihr Wohlergehen genutzt wird.
Jedenfalls klingt das für mich alles irgendwie zu schön um zu funktionieren, ich weiß nicht, ob und wie die das hinkriegen und ob da unter der Teerdecke etwas brodelt.
Ich frag mich auch, ob man so ein Riesenland nicht nur zentral regieren kann. Andererseits, es gibt so viele Experimente wirtschaftlicher und sozialer Art in verschiedenen Regionen das Landes, da gibt es mit Sicherheit auch jede Menge heiße Diskussionen über Richtungsentscheidungen, die letztlich nur im Konsens mit Wirtschaft, Partei und Regierung getroffen werden, sonst wäre das Land nicht so erfolgreich.
Jedenfalls hat das, was ich dort gesehen habe nicht viel zu tun mit dem was in der westlichen Presse über China geschrieben wird.
Letzte Station unserer Reise war Hongkong. Und dort lernte ich etwas über Propaganda. Wir kamen am Vorabend des Nationalfeiertags an und wurden denn auch im Hotel gleich darauf hingewiesen, dass am Folgetag mit Demonstrationen und Ausschreitungen zu rechnen sei. Unser Hotel befand sich im Zentrum der Demonstration und es wurde uns empfohlen, entweder am späten Vormittag das Hotel zu verlassen und erst nach Mitternacht zurückzukehren kommen, oder aber am Nachmittag im Hotel zu bleiben.
Wir wollten natürlich etwas von Hongkong sehen und verließen unser Hotel am Vormittag. Ich hatte eine leichte Magenverstimmung und fühlte mich nicht fit genug um bis Mitternacht herumzulaufen. Deshalb entschlossen wir uns am frühen Nachmittag dann doch wieder ins Hotel zurückzukehren. Die Demonstration, die übrigens nicht genehmigt war, hatte bereits begonnen. Ab und zu waren Sprechchöre zu hören, aber ansonsten sah alles sehr friedlich aus. Wir sind auch ohne Probleme ins Hotel gekommen, waren jedoch schon ein wenig aufgeregt. Durch die Lage des Hotels hatten wir sozusagen einen Logenplatz.
Wir konnten den Demonstrationszug sehr gut von oben sehen. Einige Demonstranten trugen amerikanische Flaggen, das hat uns ein wenig irritiert. Aber die Demo war friedlich und keineswegs spektakulär. Aber dann sah ich, wie sich auf der gegenüberliegenden Seite eine Gruppe Jugendlicher bereit machte: sie zogen sich um, maskierten sich, setzten Helme auf und gruben Pflastersteine aus. Die Steine wurden in Kartons gepackt und an der Straße verteilt, ebenso die Lieferung mit Molotowcocktails, die wohl von einer anderen Gruppe vorbereitet worden waren.
Als die Demo zu Ende war, haben sich auf einmal mehrere solcher Gruppen auf der Straße eingefunden und begannen die Sicherheitskräfte zu attackieren. Es flogen Steine und Brandsätze, das Spezialkommandos der Polizei antwortete mit Tränengas und später auch mit Wasserwerfern. Die Randalierer bauten Barrikaden aus allem, was sie auf der Straße fanden. Als sie dann ein paar Müllcontainer gegenüber von unserem Hotel anzündeten, wurde Feueralarm ausgelöst. Die anrückende Feuerwehr wurde erst nach minutenlangen Verhandlungen zum ziemlich großen Brandherd hinter die Barrikaden gelassen, die sofort wieder geschlossen wurden. Die Randalierer setzten ihren Angriff auf die Sicherheitskräfte fort, die nun ihrerseits weder Tränengas noch Wasserwerfer einsetzten, um die Feuerwehrleute nicht zu gefährden.
Die Hotelgäste versammelten sich also in der Lobby und sahen dem Spektakel draußen zu. Neben mir stand ein Journalist, der das alles filmte und dabei kommentierte. Wir sahen beide das gleiche, aber er berichtete nicht neutral, sondern favorisierte die radikalen Demonstranten. Er sprach vom Kampf junger Hongkonger für die Demokratie, die sich dem brutalen Einsatz der Polizei widersetzte. Ich war fassungslos und er reagierte indigniert und zog sich zurück.
Die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Randalierern zogen sich bis weit nach Mitternacht hin. Es war die Nacht, in der ein Polizist einen Demonstranten durch einen Schuß mit scharfer Munition verletzte.
Am Morgen danach sah es aus wie auf einem Schlachtfeld.
Irgendwie hat das Ganze für mich nichts mit Demokratie zu tun, es ist wohl eher die übliche Initialisierung einer “Demokratiebewegung”.
Bilder von unserer Reise gibt es hier.