Ich schreibe hier über eine persönliche Erfahrung mit Angst, einer Angst, die nicht mehr steuerbar und beeinflussbar war, für die es keine Worte mehr gab, die sich unendlich und tiefschwarz angefühlt hat.
Vor ein paar Wochen wurde bei meiner Tochter ein Hirntumor entdeckt, und ihr überleben konnte nur durch einen operativen Eingriff gesichert werden. Diese Information traf mich mitten ins Herz, ich war für einige Zeit wie gelähmt.
Angst wird ausgelöst wenn man sich durch reale (oder phantasierte) Ereignisse bedroht fühlt. Angst ist also etwas was vor einem liegt, in der Zukunft geschehen kann.
Der gesunde Impuls ist es, diese Bedrohung abzuwenden. Man versucht sich zu schützen und diese Bedrohung zu vermeiden, sei es durch ausweichen, durch Angriff, oder durch “sich tot stellen”.
Menschen sind verschieden stark, die Toleranzschwellen für die Bewältigung von Konflikten oder dafür, was Angst und Furcht einflößt sind abhängig von der Persönlichkeitsstruktur. Ich selbst habe eine verhältnismäßig hohe Angsttoleranz, ich bin also eher der Überzeugung, dass ich drohendes Unheil rechtzeitig erkennen und abwenden kann.
Nachdem ich mich wieder etwas gerappelt hatte, begann ich mit zunehmender Intensität nach medizinischen Erklärungen zu suchen, versuchte zu verstehen, was eine solche Operation bedeutet, ihren Ablauf und die Heilungschancen. Das half mir dieser Bedrohung rationaler zu begegnen und meine Angst zu kontrollieren. Ich lernte, dass solche Tumore relativ häufig vorkommen und die Aussichten auf Heilung relativ gut waren. Damit habe ich mich also wieder etwas unter Kontrolle gebracht, d.h., meine ursprünglichen, automatischen Gedanken über Tumore, Hirnoperationen und deren Folgen einer Realitätsprüfung unterzogen (sofern das als Laie überhaupt möglich ist, gebündelt mit großem Vertrauen in die Kunst der Ärzte) und mein Erwachsenen-Ich mobilisiert.
So ausgestattet, konnte ich auch meiner Tochter begegnen und sie ins und im Krankenhaus begleiten. Je rationaler ich diesem Ereignis gegenüberstand, desto stärker fühlte ich mich und desto sicherer war ich, dass alles gut ausgehen würde.
Meine Tochter selber schien erstaunlich ruhig und gefaßt, selbst dann noch, als sie am Abend vor der OP, bereits im Krankenhaus, unterschreiben mußte, dass ihr die Risiken der Operation bis hin zum eigenen Tod, bewußt sind. Der anwesende Arzt bemühte sich sehr, den Vorgang als eine administrative Anforderung darzustellen, aber in mir hat das wieder diese Angst ausgelöst, derer ich kaum Herr werden konnte. Natürlich versuchte ich, meine Angst nicht zu zeigen, aber ich habe mich selbst nur noch als einen funktionierenden Automaten wahrgenommen.
Am nächsten Morgen konnte ich meine Tochter in die Anästhesie begleiten. Ich fand ein völlig verängstigtes Mädchen vor, beinahe unfähig zu gehen und mit einem Ausdruck der Panik in ihren Augen der mich bis ins Mark traf. Die Anästhesisten brauchten relativ lange, um ihr Herzrasen unter Kontrolle zu bringen, sagten sie nach der OP.
Noch nie habe ich eine solche Angst selber erlebt oder an anderen gesehen. Angst, die mit dem Bewusstsein der Endlichkeit, der eigenen Sterblichkeit einhergeht ist eine existentielle Zumutung. Sich dieser Begrenzung bewußt zu sein könnte man als einschränkend wahrnehmen, oder aber auch als Aufforderung sein Leben aktiv, selbstbestimmt und frei zu gestalten.
Ich habe mir niemals vorstellen können dass ich mich so hilflos und ausgeliefert fühlen kann, dass es etwas gibt, was so bedrohlich ist, dass ich es nicht abwenden kann. Natürlich weiß ich rational, dass es Dinge auf dieser Welt gibt, die ich nicht beeinflussen kann, aber die sind weit weg von mir und irgendwie glaube ich doch, dass mir schon ein Ausweg einfiele mich zu schützen.