Die Stimmung in Washington ist total anders als New York.
Der Bus hält in Chinatown und nur einen Block davon ist das Convention Center (CC), wo wir in den nächsten drei Tagen an einer Konferenz teilnehmen werden. Es liegt unweit der New York Avenue, in der Straße, in der ich auch ein Hotel gebucht habe. Allerdings, das CC liegt im Nordwesten und unser Hotel im Nordosten dieser Straße. Das bedeutet, wir müssen ca. 2 Meilen laufen und nach der langen Busfahrt wollen wir auch laufen. Am Anfang des Weges, wo es noch Fußwege gibt, ist das auch ganz o.k. Aber dann verengen sich die Fußwege zu Trampelpfaden und die Straße wird zu einer vierspurigen Straße. Es ist kalt, wir können unsere Koffer nicht hinter uns her ziehen, sondern müssen sie tragen. Das Hotel liegt auf der anderen Seite der Straße und die Überquerung ist ziemlich gefährlich, es herrscht dichter Feierabendverkehr und es gibt keinen Fußgängerüberweg.
Es ist nicht einfach, ein relativ preisgünstiges Hotel in Washington zu finden und als ich im Internet das Howard Johnson Express Inngefunden hatte, für immerhin 96 Dollar pro Nacht, war ich eigentlich ganz glücklich. Aber das ist nicht wirklich ein Hotel, es ist mehr ein Motel, so eines, wie man es aus den typischen amerikanischen Roadmovies kennt und ziemlich runtergekommen. Das Zimmer war dafür, dass es direkt an der vierspurigen Straße, relativ ruhig. Naja, man kann hier niemals den Vorhang oder gar das Fenster öffnen, wahrscheinlich hatte auch noch niemals jemand diesen Wunsch, und deshalb war es auch ein ziemlich beklemmendes, muffiges Gefühl. Und es war kalt. Aber wir hatten auch hier eine kombinierte Klima- und Heizungsanlage, die ziemlich lange brauchte, um ein wenig warme Luft zwischen die Pappwände zu bringen.
Eigentlich wollten wir nach der Konferenz noch zwei Tage in Washington verbringen, aber wir beschließen sofort, unseren Flug umzubuchen und eher nach Hause zu fliegen.
Washington ist nicht besonders groß. Es gibt die monumentalen Bauten im Regierungsviertel, monumentale Museen und ebensolche Wohn- und Appartmentanlagen. Am Rande findet man noch die kleinen alten, sehr an England erinnernden Häuser, teilweise sehr schön zurecht gemacht, teilweise total vergammelt. Wir laufen ein bißchen herum, hoffen, ein nettes Restaurant zu finden und stehen plötzlich vor dem Weißen Haus. Es sieht aus wie frisch gewaschen und der Posten, ein paar Meter entfernt von uns, guckt noch nicht mal, als wir am Zaun stehen und ein paar Fotos machen. Es ist alles sehr unspektakulär und ruhig.
Wir gehen zurück zum Hotel, am Gebäude des FBI (ein riesiger Betonbau gegenüber dem Spymuseum) vorbei. Irgendwie hab ich etwas Aufregenderes erwartet, aber nix. Politik ist wahrscheinlich auch nur ein normaler Job und die Leute haben bestimmt Feierabend, ist ja auch schon spät.
Wir finden natürlich kein nettes Restaurant, wir landen, unweit von unserem Hotel bei Wendy’s, wo wir die hausgemachten Burger probieren. Es ist definitiv nicht mein Essen und ich habe erhebliche Schwierigkeiten mit dieser nicht vorhandenen Eßkultur. Aber die Leute sind sehr freundlich.
Am nächsten Tag, es ist inzwischen 16 Grad warm, besuchen wir die wahrscheinlich amerikanischsten Plätze überhaupt. Wir gehen in zur National Mall, gucken uns das Second World War Memorial an, gehen am Washington Monument vorbei, zum Lincoln Memorial, dem Denkmal, wo Abraham Lincoln in Überlebensgröße, in weißem Mamor gehauen, auf einem Stuhl sitzt. Sehr imposant!
Es wimmelt von Leuten, Familien, Schulklassen, Soldaten, alle strömen zum Monument um sich davor gegenseitig zu fotografieren. Ich gucke diesem Schauspiel eine halbe Stunde fasziniert zu. Die Leute stehen im Halbkreis vor dem riesigen Lincoln Denkmal und warten, bis sie die Chance haben, vorzutreten und ihre Fotos zu machen. Sie sind stolz und glücklich. Eltern und Großeltern erklären ihren Kindern und Enkelkindern, wer hier geehrt wird. Ein sehr junger Soldat in Uniform ist mit seiner Freundin hier und älterer Herr tritt auf ihn zu und bedankt sich bei ihm, dass er im Krieg (Irak?) war.
Die Seitenwände enthalten Inschriften von Reden Lincolns über den Unabhängigkeitskrieg, der diese Nation geeint und stark gemacht hat. Von den Stufen des Memorials gibt es eine Sichtachse zum Capitol hill, unterbrochen auf halber Strecke von dem Washington Memorial.
Nicht weit vom Lincoln Memorial ist das Vietnam Veterans Memorial, ein Denkmal zur Erinnerung an all jene US Soldaten, die im Vietnamkrieg gefallen sind. Es ist eine Granitwand, in der Namen der gefallenen Soldaten eingraviert sind. Vor der Wand liegen Fotos, Blumen und Briefe. Die Briefe sind von Schülern geschrieben und sie bedanken sich dafür, dass die Soldaten für sie im Krieg waren, für Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft haben und dadurch heute ein Leben in Freiheit in den USA möglich ist. Es ist beklemmend und macht mir ein mulmiges Gefühl, als ich den Weg an dieser Wand entlang gehe, auch, weil ich diese Interpretation nicht wirklich nachvollziehen kann. Ich lese ein wenig später folgenden Satz:
A stated goal of the memorial fund was to avoid commentary on the war itself, serving solely as a memorial to those who served. (Ein erklärtes Ziel des Erinnerungsfonds war es, Kommentare über den Krieg als solchen zu vemeiden, sondern nur derer zu gedenken, die in diesem Krieg gedient haben.)
Es gibt natürlich auch zahlreiche Kioske, wo man Erinnerungssticker, Embleme u.d.g.m. kaufen kann. Mit läuft es kalt den Rücken runter, als ich diese Memorabilien sehe.
Dieser Park ist nicht nur ein Platz, um der Nation Erklärung, Hoffnung und eine Mission zu geben, hier gedenkt Amerika seiner Kreigsgefallenen. Hier wird auch der Opfer des Holocaust und des Koreakriegs gedacht.
Ein halbe Stunde Fußweg entfernt, am anderen Ende des Parks ist das Kapitol. Eine nette Abwechslung auf dem Weg dahin der Skulpturengarten der Nationalgalerie.
Das Kapitol auf dem Capitol hill (wie in Rom) ist ein riesiges, imposantes Gebäude, eine perfekte Zurschaustellung von Größe und Macht. Das Gebäude selbst ist ein Mashup aus verschiedenen Baustilen, italienische und französische Bauwerke haben die Architekten sehr beeinflußt.
Seit letztem Jahr gibt es auf der Vorderseite ein unterirdisches Besucherzentrum. Hier sind sehr anschaulich die Geschichte der USA, die Aufgaben und Funktionen von Senat und Kongreß erläutert udn man gelangt auch in die Kongreß Bücherei, wo die Unabhängigkeitserklärung liegt. Man kann auch an Sitzungen des Senats und Kongresses teilnehmen, aber dafür muß man sich mindestens 6 Monate vorher bei seinem Abgeordneten anmelden.
Zurück Richtung Downtown, gehen wir auf der Constitution Avenue, die gesäumt ist von Häusern des Smithsonian Museums, Botschaften und Regierungsgebäuden. Alles sehr monumentale Bauten und irgendwie unpersönlich. Ich habe das Gefühl, dass sich das Leben hier hinter den Kulissen oder unterirdisch (der gesamte Regierungskomplex, vom Kapitol bis zum Weissen Haus ist per Tunnel verbunden) abläuft.
Irgendwie ist Washington mir unheimlich.
Ich krieg die vielen Bilder, die ich von diesem Land habe, noch nicht zu einem für mich schlüssigen Bild zusammen. Freundliche Menschen, teilweise sehr ungebildet, Macht, Geld, Einfluß, hybrides Essen, Armut, ein Mashup europäischer Baustile und Ideen, Moden, Design, Umweltverschmutzung, kriegerisch, keine Eßkultur, großes Land. In einem Reiseführer habe ich gelesen, dass viele Amerikaner sich in New York wie in Europa fühlen (auch wenn sie noch nie dagewesen sind). NYC sorg für Dynamik und Auffangstation für Kreative aus Europa und der Welt, Washingto ist Machtzentrum und nationaler Ruhepool?
Am besten lassen sich meine Gedanken mit diesem Satz zusammenfassen, den ich im Besucherzentrum des Kapitol gelesen habe: Amerika is not made. Amerika is being making.
Wir sitzen viereinhalb Stunden auf dem Flughafen, bis unser Flug gecancelt wird. Unser Flugzeug ist beim Rangieren mit einem anderen Flugzeug zusammengestoßen und dabei wurde die Tragfläche beschädigt. Die Fluggesellschaft kommt für alle Aufwendungen auf und bringt alle Fluggäste in Hotels in der Nähe unter. Wir landen im Hyatt, einem Traum in braun und beige und ausgewiesen als Designhotel. Aber die Burger sind lecker 😉
Ich bin sehr glücklich, als wir endlich losfliegen.