Istanbul ist eine dieser Städte, die ich mit den Abstand von ein paar Jahren einfach immer wieder besuchen muß.
Da trifft es sich gut, dass ich eingeladen bin an einer europäischen Konferenz zum Thema “Intercultural Dialogue” teilzunehmen.
Europäische Konferenz, interkultureller Dialog, Istanbul. Diese Kombination hat wahrlich Symbolcharakter!
Ich mache mich auf den Weg, von Barcelona via London nach Istanbul
In London komme ich auf dem Flughafen Gatwick an und habe drei Stunden Zeit, um nach Heathrow zu fahren. Die Schlange an der Paßkontrolle ist immens, es dauert eine halbe Stunde, bis ich durch bin.
Ach hätte ich mir doch mein Busticket vorher im Internet gekauft! Der Ticketschalter wird belagert von einer unüberschaubaren Menge Hongkong-Chinesen. Ich guck ca. 30 Sekunden ein wenig verstört auf die Menschenmenge, als ich neben mir diesen Satz höre: “Darling, where do you want to go to?” Ich blicke in ein freundliches Gesicht eines Servicemitarbeiters und sage nur “Heathrow”. Daraufhin kämpft er sich mit meiner Kreditkarte in der Hand durch die Menschenmenge und kauft mir mein Ticket. That’s great!
Ich warte mit vielen anderen Menschen an der auf dem Ticket angegebenen Bushaltestelle. Es kommt auch tatsächlich ein Bus, aber da steht nicht “Heathrow” in der Anzeige, sondern “Cambridge”. Keiner steigt ein. Wieder kommt ein Servicemann und klärt die Situation. Es ist der richtige Bus und so komme ich gerade noch rechtzeitig zu meinem Anschlußflug.
Kurz vor Mitternacht bin ich in Istanbul. Ich nehm mir ein Taxi zum Hotel. Der Fahrer mustert mich und fragt ob ich aus Frankreich oder aus Deutschland komme. Als ob er hellsehen kann!
Die Fahrt dauert eine Stunde. Es ist noch viel Verkehr und der Fahrer hält unterwegs mehrmals an. Einmal um zu tanken, einmal um mir etwas aufzumalen, was er mit seinen wenigen Worten deutsch nicht erklären kann und weil er mir unbedingt etwas zu essen kaufen will. Ich willige schließlich in eine Flasche Wasser ein. Als wir am Hotel angekommen sind, habe ich seine Adresse und Telefonnummer und eine Einladung ihn mit meiner gesamten Familie zu besuchen.
Das Hotel ist ausgebucht. Die Rezeptionistin erklärt mir, dass sie nicht damit gerechnet haben, dass alle gebuchten Personen anreisen. Sie ruft den Managing Director. Er ist sehr höflich, entschuldigt sich mehrmals für die Unannehmlichkeiten und bietet mir an, für eine Nacht in der Präsidentensuite zu übernachten. Es fehlt noch ein weiterer Gast, aus Frankreich. Wenn diese Dame anreist, müssen wir uns die Suite teilen. Ein Concierge bringt mich zur Suite. So habe ich noch nie in einem Hotel übernachtet. Die Suite ist mindestens dreimal so groß wie mein Appartement zu Hause. Sie hat drei Schlafräume, jedes mit eigenem Bad, einen Konferenzraum und einen Wohnraum. Alles perfekt ausgestattet, überall frische Blumen und frisches Obst. Das zu meinem Zimmer gehörende Bad hat auch eine Sauna. Welch ein Luxus!
Ich habe mein Netzteil für meinen Laptop zu Hause vergessen. Die Batterie hält so ungefähr zweieinhalb Stunden. Die hab ich schon im Flieger verbraucht. Ich kann nicht mehr arbeiten.
Zwei Tage später finde ich eine junge Türkin, die einen Laptop vom gleichen Hersteller hat. Sie leiht mir ihr Netzteil für eine halbe Stunde. Ich kann jetzt wenigstens meine e-mails durchgucken.
An der Konferenz nehmen 140 Teilnehmer aus Europa teil. Wir präsentieren uns unsere Projekte, Ideen, Erfahrungen und arbeiten in verschiedenen Workshops zusammen. Ich lerne interessante und interessierte Menschen kennen. Wir werden ganz bestimmt Projekte miteinander machen.
Am Abend des ersten Konferenztages haben wir ein gemeinsames Dinner auf einem Boot, welches die ganze Zeit auf dem Bosporuskreuzt. Istanbul strahlt und funkelt und glitzert im Lichtermeer. Es sieht sehr schön aus.
Unsere türkischen Gastgeber sind sehr stolz, dass diese Konferenz in Instanbul stattfindet. Sie präsentieren sich und ihre Ideen von Europa auf beeindruckende Weise. Sie geben Rechenschaft darüber, wie sie europäische Finanzmittel für die Integration ihres Landes in Europa verwenden.
Istanbul als Stadt selbst ist eine Brücke zwischen zwei Kontinenten, zwischen Religionen, unsere europäische Geschichte ist verwoben mit der Geschichte des Orients. Bei den Konferenzteilnehmern besteht kein Zweifel darüber, dass die Aufnahme der Türkei in die EU eine große Chance ist, für die Entwicklung eines friedlichen, gleichberechtigten Miteinanders sowohl in Europa als auch in Asien.
In 2010 wird Istanbul Kulturhauptstadt Europas sein.
Die Konferenz endet mit einer Besichtigung der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt, der Hagia Sophia, der Blauen Moschee und dem Topkapi Palast.
Ich habe alles schon öfter gesehen und klinke mich hier aus dem gemeinsamen Programm aus. Das bedeutet vier Stunden Freizeit! Ich schlendere durch die Strassen, gucke Leute, sitze eine Stunde in einem schönen Buchladen und stöbere in Büchern über die Türkei, den Orient, Teppiche und orientalisches Handwerk. Das Buch, welches ich schließlich kaufen möchte, soll 285 türkische Lira, das sind ca. 160 Euro, kosten. Das ist definitiv zu teuer für mich.
Ich soll meiner Tochter und ihrer Freundin ein Seidentuch mitbringen. Der beste Ort, sowas zu kaufen ist natürlich der Grand Bazaar. Nach einigem Stöbern finde ich tatsächlich drei wunderschöne, handgewebte Seidentücher. Aber die sind leider auch wesentlich exklusiver und daher teurer als die normalen “Touristentücher”. Das erklärt mir zumindest der Verkäufer. Wir fangen an zu handeln und können uns lange nicht einigen. Wir trinken den üblichen Tee zusammen und haben noch immer keinen gemeinsamen Preis gefunden. Der Verkäufer nennt mir seinen absolut letzten Preis. Uns trennen noch 30 Lira von meinem Preis. Als ich ihm vorschlage, die Differenz zu teilen, fragt er mich, ob ich türkische Verwandte habe. Am Ende sind wir beide zufrieden.
Ich lasse mich mit den Massen von Menschen durch die Gänge treiben und mein Blick fällt plötzlich auf ein großes besticktes Tuch. Es zeigt den Baum des Lebens. Irgendetwas fasziniert mich an diesem Tuch und natürlich sieht der gewiefte Verkäufer das sofort. Er kommt auf mich zu und erzählt mir alles über dieses Tuch. Es ist ca. 40 Jahre alt, handgearbeitet und kommt aus Turkmenistan. Der Untergrund ist aus feiner, handgewebter Baumwolle, die Stickereien aus Seide, die Farben Naturfarben. Solange ich dieses Tuch auch betrachte, ich sehe immer wieder etwas Neues darauf. Ein exklusives Stück, sagt der Verkäufer. Es hat natürlich auch einen exklusiven Preis. Der Verkäufer spricht fließend deutsch mit fränkischem Akzent, denn er hat viele Jahre in Bamberg gelebt. Er zeigt mir viele verschiedene Tücher, von unterschiedlicher Größe und Qualität, doch ich bleibe immer wieder bei dem Tuch mit dem Lebensbaum hängen. Im Laufe unseres Gesprächs macht er mir drei Top Preisangebote, wie er sagt. Der letzte Preis ist ein Drittel von dem, was er zuerst für dieses Tuch verlangt hat. Ich kaufe es trotzdem nicht.
Ein paar Meter weiter ist ein winziger Laden mit ein paar alten Schmuckstücken und alten Lampen. Ich sehe mich ein wenig um und komme mit dem Verkäufer ins Gespräch. Eigentlich reden wir mit Händen und Füßen, er malt und zeigt mir Fotos. Der Verkäufer ist Afghane und wohnt seit ein paar Jahren in Istanbul. Er ist vor dem Krieg geflohen. Was er da in seinem 3 Quadratmeter großem Laden hat sind afghanische Antiquitäten, Schmuck, Masken, Kämme, Gürtel, Messer, Lampen, Perlen. Er bindet und hängt mir und sich alles mögliche um und auf, damit ich begreife, wofür die Dinge verwendet wurden. Er zeigt mir ein Foto, auf dem er mit einer europäisch aussehenden Frau abgebildet ist. Darunter ist eine kanadische Adresse einen Antiquitätenladens in Vancouver.
Er sagt, sie arbeiten zusammen. Ich versuche ihm deutlich zu machen, dass er seine Stücke katalogisieren soll und dieses an Museen senden soll. Es ist wert, zu erhalten und öffentlich zu machen, denn wenn der Krieg jemals zu Ende ist, wird in Afghanistan nicht mehr viel davon vorhanden sein. Er sieht sehr traurig dabei aus.
Ich versuche ernsthaft den Ausgang zu finden, aber ich strande sofort im nächsten Laden. Dort kaufe ich, nach den üblichen Preisverhandlungen und einem Glas Tee eine alte Salzdose. Sie stammt aus der Region Cappadocia und ist ca. 40-50 Jahre alt.
Jetzt muß ich wirklich gehen, denn ich muß zum Galatatturm, wo wir unser Abschlußdinner haben.
So kurz vorm Ausgang sehe ich links noch den Buchbasar. Dort finde ich auch das Buch wieder, welches ich am Nachmittag in dem Buchladen am Hippodrom kaufen wollte. Der Laden wird von einem alten Mann und seinem Sohn betrieben. Der Sohn sprich ein paar Worte Englisch. Ich bekomme noch einen Tee und weil es schon halb sieben ist, servieren sie mir auch ein Baguette.
Ich kaufe das Buch für 90 Lira. Der Sohn hat kleine Wörterbücher für Türkisch-Englisch, Türkisch-Französisch udn Türkisch-Spanisch neben seiner Kasse liegen. Ich bezahle mit meiner französischen Kreditkarte. Er zeigt mir einen Zettel mit ein paar französischen Wörtern und fragt mich, ob ich ihm kurz erklären kann, wie er auf Französisch ein paar übliche Floskeln sagen kann. Wir sitzen eine halbe Stunde zusammen und ich erkläre und schreibe französische Konversation.
Es ist mittlerweile Dunkel, ich stehe auf einem großem Platz und versuche mich zu orientieren. Ich frage ein älteres Pärchen, mit einem englischen Reiseführer in der Hand, wo der Bosporus liegt, denn ich muß in diese Richtung laufen. Sie haben keine Ahnung aber einen Reiseführer, Ahmed. Er sagt mir, es ist unmöglich dahin zu laufen, ich solle die Straßenbahn nehmen und erklärt mir den Weg. Wir gehen ein Stück gemeinsam und an einer Kreuzung verabschieden wir uns. Ich gehe in die beschriebene Richtung, tausende von Menschen sind hier unterwegs, es ist ziemlich düster, ich bin verloren. Neben mir hupt es. Ein kleiner Reisebus hält an, Ahmed steigt aus und bedeutet mir einzusteigen. Er hat seine Reisegruppe um Erlaubnis gebeten, mich mitzunehmen. Er sagt, Istanbul hat sich verändert und ist nicht mehr wirklich sicher, schon gar nicht allein, im Dunkeln, als Frau.
Im Bus sitzen ca. 15 ältere Pärchen, Amerikaner. Sie haben eine Türkeirundreise gebucht, sind zum ersten Mal hier und völlig überwältigt von dieser Stadt, die sie nun schon den dritten Tag erkunden. Am nächsten Tag fahren sie weiter nach Cappadocia.
Der Bus hält in der Nähe des Galatatturms. Ich bedanke mich bei der Gruppe und bei Ahmed.
Das Dinner ist nett. Wir sitzen in der obersten Etage des Turms und haben einen phantastischen Ausblick. Eine Tanzgruppe zeigt typische anatolische und kaukasische Tänze. Manche dieser Tänze, von Männern mit Messern getanzt, sind sehr agressiv, sie erinnern mich an Krieg. Und wir sehen den orientalischen Bauchtanz, getanzt von sehr schönen, sehr jungen Frauen. Mein Tischnachbar, ein Türke erzählt mir, dass die Tänzerinnen dafür meist aus Russland kommen.
Dann kommt noch ein älterer Sänger, der uns tatsächlich in allen anwesenden Sprachen begrüßt. Er macht sich einen Spaß daraus, Paare verschiedener Nationen zu mixen und sie zu bekannten Liedern aus ihren Herkunftsländern tanzen zu lassen, natürlich singt er dazu.
Zurück im Hotel zieht sich der Abschied noch lange hin.
Ich hab frei am nächsten Tag, ich treffe mich mit Sevinc.
Wir haben uns vor 4 Jahren auf einer Konferenz hier in Istanbul kennengelernt. Sevinc hatte diese Konferenz damals mit ein paar Lehrern der Istanbul University organisiert. Ich war eine der Referentinnen zum Thema e-Learning.
Der Kontakt zwischen uns ist nie abgerissen, einmal haben wir uns sogar auf dem Istanbuler Flughafen getroffen, um über ein gemeinsames Projekt zu sprechen.
Ich freue mich auf das Wiedersehen mit ihr. Sie hat mir eine Nachricht hinterlassen, wo ich wann sein soll und wie die Person aussieht, die mich abholt. Ich fahre mit dem Taxi zum Treffpunkt am Hafen. Dort erwarten mich schon ihre beiden Mitarbeiterinnen. Sie haben ein großes Schild mit meinem Namen gemalt und auf ihren Tisch gestellt. Gemeinsam fahren wir nach Heybeliada, eine der Prinzessinseln im Marmarameer vor Istanbul. Wir reden während der Überfahrt die ganze Zeit über unsere Leben, Politik, Kinder, Häuser und Gott und die Welt.
Auf Heybeliada fahren keine privaten Autos. Das ist sehr angenehm im Vergleich zu Istanbul. Das ständige Verkehrschaos dort und die damit verbundene Umweltverschmutzung sind schon nervig.
Sevinc kommt mit ein paar Mitarbeitern und einem amerikanischen Lehrer. Wir machen einen Rundgang über die Insel, trinken Kaffee im schönsten Hotel der Insel, verplaudern uns und hetzen wieder zurück zur Fähre. Auf Heybeliada stehen viele von diesen wunderschönen alten Holzhäusern. Einige sind schön zurecht gemacht, viele sehen sehr verlassen und derangiert aus. Das ist ein kleines Paradies hier, sehr ruhig, sehr schön.
Wir fahren zurück nach Istanbul und versprechen uns, zusammenzuarbeiten.
Am nächsten Morgen will ich mir ein Taxi zum Flughafen nehmen. Der Concierge fragt mich, ob ich mir ein Taxi mit einer anderen Dame teilen möchte, die auch zum Flughafen muß. Ich willige ein, weil wir uns so die Kosten teilen können. Die Dame kommt aus Köln. Nach zehn Minuten Fahrtzeit stellt sich heraus, dass sie zu einem anderen Flughafen muß als ich. Ihr Flughafen liegt nicht in der gleichen Richtung wie meiner. Der Taxifahrer versteht kein Englisch und kein Deutsch, nur soviel, dass er zu unterschiedlichen Flughäfen fahren soll. Der arme Kerl ist hoffnungslos überfordert und sagt nur immer “no Problem”. Die Dame aus Köln reagiert sehr ungehalten und will zurück ins Hotel. Ich schlage ihr vor, in ein anderes Taxi zu wechseln, da wir schon den halben Weg zum Atatürk Flughafen hinter uns haben. Sie wird sehr wütend und verlangt von mir, dass ich mir ein anderes Taxi nehmen soll, schließlich muß sie ihren Flug kriegen. Sie redet sehr laut auf den Taxifahrer ein, der immer nervöser wird. Ich sage ihm, er möge irgendwo anhalten und mir bitte ein anderes Taxi rufen. Was er dann auch tut. Ich bezahle die Fahrt, wünsche der Kölnerin noch eine gute Reise (sie antwortet nicht) und steige in ein anderes Taxi um. Zehn Minuten später bin ich am Flughafen.
Ich denke an das Thema der Konferenz: “intercultural dialogue” und an mein Statement zu diesem Thema, nämlich dass der Dialog von Menschen geführt wird, die durch ihre Sozialisation geprägt sind. Je offener und unvoreingenommener sie anderen Menschen gegenüber treten, desto besser ist der interkulturelle Dialog, auch im eigenen Land.