Eine schöne Sommerzeit hier in Fitou geht für mich zu Ende, ich gehe wieder auf Reisen.
Diesmal starte ich mit einem Projektmeeting in der Slowakei, in Stara Lubovna. Das liegt ziemlich tief drinnen in der Slowakei, nahe der polnischen Grenze, am Fuß der hohen Tatra. Das sind so Orte, die liegen soweit außerhalb des “normalen” Fokus, das es ziemlich schwierig wird, überhaupt dorthin zu gelangen. Ich fliege also über Prag nach Kosice und von dort weiter nach Poprad.
Zumindest habe ich eine Bordkarte für alle diese drei Flüge, allerdings, der letzte Abschnitt ist eine Busfahrt. Nach der Pleite von Sky Europe wird der Flughafen Poprad nicht mehr angeflogen. Die Reise ist insgesamt eine ziemliche Tortur, aber das geht allen Projektteilnehmern so, die letzte Strecke fahren sie alle mit dem Bus. Für einige beginnt die letzte Strecke schon in Budapest, was bedeutet, dass sie 10 Stunden im Bus sitzen.
Ich treffe unterwegs eine Kollegin und wir kommen gut in Poprad an. Der Busfahrer setzt uns vor einem Hotel mitten in der Stadt ab und wir machen uns auf die Suche nach dem Bahnhof, denn dort wartet ein Taxi auf uns. Der Fahrer ist schon völlig aufgelöst, weil wir so spät ankommen. Wir haben keine Chance ihm den Grund zu erklären, denn er spricht nur slowakisch. Nach kurvenreichen, hubbeligen 80 Kilometern sind wir endlich in Stara Lubovna. Ich bin völlig fertig, der Fahrer hat uns mit Technomusic zugedröhnt, permanent an seiner Dose Red Bull genippt und ist sehr schnell gefahren.
Wir werden sehr herzlich von unseren Gastgebern begrüßt und bekommen sofort eine Stadtführung. Stara Lubovna ist eine der ältesten Städte in der Region und liegt am Fluß Poprad. Stara bedeutet “alt”, der alte Teil der Stadt besteht nur aus ein paar kleinen Häusern, die um eine Kirche gruppiert sind. Der Rest ist neu oder aber sehr neu
renoviert, da ist nix altes, traditionelles mehr zu sehen. Es sieht aus wie in einem Wüstenrot Katalog. Manche Häuser sind sehr grell angestrichen und die Dächer leuchten in grün, blau, gelb und rot. Wirklich ungewöhnlich.
Das durchschnittliche Einkommen liegt bei ca. 700 Euro pro Monat. Viele, die im Ausland arbeiten schicken Geld nach Hause, damit die Familie ihr Haus renovieren kann oder sie kaufen sich nach der Rückkehr aus dem Ausland ein neues Haus.
Lidl, Billa, Kaufland und Tesco sind überall, wenn die Leute keine andere Sprache sprächen, ich würde denken, ich wäre in Deutschland.
Aber dann, am nächsten Tag finde ich doch noch ein paar Spuren des alten Lubovna in ein paar Gassen abseits der Hauptstraße.
Wir sind zu Gast beim Bürgermeister. Er sagt, dass er stolz ist, uns zu Gast zu haben und stellt uns kurz die Gegend vor. Stara Lubovna hat ungefähr 16.000 Einwohner, die Verwaltungsregion ca. 80.000. Die Menschen arbeiten vorrangig in der Landwirtschaft und im Tourismus. Die Arbeitslosenquote beträgt 10%. Die Probleme in der Region sind die gleichen wie beinahe überall im alten Europa. Die Bevölkerung ist überaltert, die Jungen verlassen die ländlichen Regionen um in Bratislava zu studieren und/oder zu arbeiten, viele gehen gleich ins Ausland. Die Dörfer vereinsamen und sterben so langsam aus.
Auf meine Frage, welche strategischen Konzepte die Verwaltung entwickelt hat, um diese sehr schöne Gegend für junge Leute attraktiv zu machen und den Tourismus zu entwickeln, antwortet er mit Allgemeinplätzen. Natürlich lasse ich mich davon nicht abschrecken und so sind wir schnell in einer Diskussion über das Muß einer modernen technischen Infrastruktur (high-Speed Internet incl.), nachhaltigen Tourismus und Traditonen.
Natürlich gibt es für diese Probleme keine einfachen und schnellen Lösungen, hier ist Spielraum für neues Denken und ungewöhnliche Ideen. Der Bürgermeister geht in zwei Jahren in Pension und wird sicherlich keine entscheidenden Weichen mehr stellen. Das sagen mir später meine slowakischen Kollegen.
Unser Gastgeber, eine Bildungsorganisation für Kinder, Jugendliche und Familien residiert in einem alten Plattenflachbau und ich fühle mich augenblicklich 20 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt. Immerhin, sie haben Internetzugang, wenn auch einen sehr langsamen. Nebenan ist übrigens ein hypermodernes Arbeitsamt mit einem schnellen Internetzugang. Soviel zur Wertigkeit von Bildung und lebenslangem Lernen.
Es gibt in der Region keine privaten oder staatlichen Weiterbildungseinrichtungen für Erwachsene. Wer einen Job hat, wird bei Bedarf vom Arbeitgeber aus-und weitergebildet. Unsere Kollegen sind zum ersten Mal an einem Projekt für erwachsene, ältere Lernende beteiligt.
Sie wollen diesen Bereich unbedingt ausbauen, sind jedoch in ihren finanziellen Möglichkeiten auf die Unterstützung der Stadt angewiesen. Angesichts einer alternden Bevölkerung und erheblichen Problemen mit der Integration von Roma hat dieses Thema aber nicht die höchste Priorität bei der Stadtverwaltung.
Wo auch immer wir essen, es ist sehr lecker und frisch. Noch kaufen die Restaurants bei lokalen Produzenten ein, ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so. Das Personal ist eher kurz angebunden, der Service ist ok, aber Freundlichkeit oder gar Herzlichkeit sind eher selten.
Natürlich machen wir auch einen Ausflug in die nähere Umgebung. Nach drei Tagen von 9.00 bis 18.00 Uhr Meeting tut uns das richtig gut. Wir fahren nach Skalnaté Pleso in der Hohen Tatra. Die Sonne scheint, die Luft ist sehr klar und die Gegend ist atemberaubend schön. Wir müssen eine Stunde warten, bis wir endlich mit dem Lift nach oben fahren können, viele Leute haben bei diesem Wetter das gleiche Ziel.
Auf halber Höhe liegt ein smaragdschimmernder Bergsee. Ursprünglich war der mal viel größer, heute verdient er kaum noch die Bezeichnung See. Aber schön ist es trotzdem hier oben. Das Publikum ist international, besonders viele Polen machen hier Urlaub, auch wenn sich die Zahl der polnischen Gäste nach der Einführung des Euro in der Slowakei beinahe halbiert hat.
Unsere Gastgeber präsentieren uns stolz das neue Einkaufszentrum von Poprad, dort soll es den besten Kaffe der Stadt geben. Eigentlich wollten wir alle in das alte Zentrum, aber das bekommen wir nicht zu sehen. Hmm, ich hätte lieber die alte Stadt gesehen, das Einkaufszentrum sieht aus wie überall auf der Welt.
Zum Abschluß unseres Meetings essen wir tradionelle Gerichte der Region in einer alten Bergerie. Die ist mittlerweile umgeben von Neubauten und Hochhäusern, mir wäre im Traum nicht eingefallen, dass das Restaurant in einem alten Haus ist.
Es ist schon beinahe ironisch, die EU gibt viel Geld aus, um alte Traditionen und Kulturgut zu erhalten und wiederzuentdecken, aber viele Menschen, die in solch alten Gebäuden leben bzw. gelebt haben, sind froh, den alten Kram los zu sein und in ein modernes neues Haus zu ziehen. Nur eine Minderheit restauriert die alten Häuser und lebt mit alten (restaurierten) Gebrauchsgegenständen. Es ist gut, dass wenigstens etwas davon in Museen aufbewahrt und gezeigt wird.